Das euregionale Kochbuch - Rezepte und Geschichten aus der Euregio Belgien-Deutschland-Niederlande
 

Küchengeschichte:

Frau Christel Pesch, Raeren, Belgien

Mein Vater stammt aus dem wallonischen, französisch sprechenden Lüttich, meine Mutter aus dem deutschsprachigen Raeren, ich bin sozusagen ein Mischling. 1950 wurde ich in Raeren geboren und bekam dann noch eine Schwester und zwei Brüder. Wir beiden Mädchen haben beim Backen geholfen, das hat uns Spaß gemacht, ansonsten wurden wir von Mama versorgt. Kochen war für mich Freizeitbeschäftigung.

In meiner Kindheit in Raeren hat niemand gehungert, sehr wohl aber gab es nur preiswerte Gerichte. Lebensmittel wurden nicht weggeschmissen, irgendetwas wurde immer daraus gemacht. Das ist bei mir heute noch so.

Nach meiner Schulzeit und der Ausbildung zur Verkäuferin habe ich im Büro gearbeitet, aber mein Hobby war immer das Kochen und deshalb habe ich zunächst Kochkurse belegt und oft für andere gekocht. Daraufhin hat der Landfrauenverband 1991 angefragt, ob ich nicht Kochunterricht geben wollte. Die Aufgabe habe ich sehr gerne übernommen und bin dabei geblieben bis heute. Ein Meisterbrief als Fertiggerichtzubereiterin half mir ab 1997, meinen Unterricht zu verbessern. Jedes Jahr suchen wir uns ein anderes Kochthema aus. Dieses Jahr haben wir Rezepte für eine Suppenbar und für Wurzelgemüse ausgewählt. Schwerpunkt ist die einheimische Küche. Ich finde, alte Rezepte gehören zu unserem kulturellen Erbe, sie müssen bewahrt werden und es ist schön, wenn sie weiterhin verwendet werden. Ich habe schon vor langer Zeit angefangen, alte Rezepte zu sammeln. Zunächst habe ich die Rezepte meiner Mutter aufgeschrieben, damit bin ich dann zu einer sehr alten Köchin gegangen und habe sie die Rezepte prüfen lassen. Sie hat viele Fehler gefunden, aber ihre Anweisungen waren vage. Sie teilte die Zutaten aus dem Handgelenk, nach Gefühl, ein, sie gab keine verlässlichen Mengenangaben. Nach den von ihr verbesserten Rezepten und ihren ungefähren Angaben bin ich nach Hause und habe das Gericht nachgekocht. Dann musste sie probieren. „Nein“, sagte sie, „so darf das nicht schmecken“. Manchmal habe ich ein Gericht zwei- oder dreimal gekocht, bis es ihr „richtig“, so wie früher, schmeckte.

Eins ihrer uralten Rezepte ist die Kauverzengtzoop, die Kälberzähnesuppe. Das ist eine Perlgraupensuppe mit trockenen Pflaumen, Zucker und Zimt.

Ich habe die Rezepte aufgeschrieben und ein Mundartforscher hat die Schreibweise festgelegt. Viele wurden in einem Buch des Raerener Töpfereimuseums, an dem ich viele Jahre angestellt war, veröffentlicht. Panhas, Hömmel en Aed (Raerener Schreibweise für Himmel und Erde) oder Rörender Trëvvel kennen alle, aber über die genaue Zubereitung früher führen die Raerener Hausfrauen hitzige Diskussionen, z. B. ob Trëvvel mit Milch oder mit Wasser zubereitet wird.

Beim Kochen berücksichtige ich stark, was gerade wächst. Wenn ich für eine Kommunionsfeier koche, die finden immer im Mai statt, ist ein Wildsalat eine viel gefragte Spezialität, die ich mir ausgedacht habe: Junge Birkenblätter, die Köpfchen von Taubnesseln, die zarten Blätter der Schafgarbe, Stiefmütterchenblüten, Kresse und Pflück- oder Blattsalat, angemacht mit Essig, Öl, Pfeffer, Salz und etwas Honig. Wer diesen Salat nicht kennt, ist erst misstrauisch, aber diese Schüssel ist immer am schnellsten leer und inzwischen wird der Wildsalat oft bestellt. Aber ich kann ihn nur im Mai zubereiten, nur dann wächst, was ich dazu brauche.

Wenn ich ein Rezept erfunden habe, will ich es nicht für mich behalten. Ich freue mich sehr, wenn es nachgekocht wird. Wenn ich es geschafft habe, dass andere es in ihr Koch-Repertoire übernehmen, ist das mein größter Erfolg. Copyright beanspruche ich wirklich nicht.

Meine eigenen Rezepte habe ich in einer Excel-Datei festgehalten, damit kann ich im Handumdrehen die Menge der einzelnen Zutaten für wechselnde Personenzahlen ausrechnen. Das war eine Hilfe, als ich einen Kochkurs für Ein-Personen-Haushalte, die es ja heute viel gibt, abhielt. Ich wusste von meiner Schwiegermutter, dass sie an einer Dose Bohnen quasi viermal essen musste, um sie aufzubrauchen. Deshalb habe ich für den Inhalt einer beliebigen Dose mehrere Rezepte erarbeitet und sie dann auf ein bis zwei Portionen umgemodelt.

Wenn ich für große Gesellschaften koche, muss ich schon aus Kostengründen verwenden, was gerade wächst. Einiges kann man natürlich auch über die Ernte hinaus aufbewahren. In unserer Gegend gibt es ab und zu noch eine alte Sorte Apfelbaum, dessen Früchte besonders süß sind. Die Bäcker legen ganze Säcke Äpfel in den Backofen und trocknen sie, sie sehen dann aus wie schwarze Steine und halten ewig. Sie werden für den „Oft Vlaam“, auch „Schwarzer Vlaam“ genannt, (schwarzer Fladen = Hefeteigfladen mit einem Belag aus getrockneten, wieder aufgeweichten süßen Hausäpfeln (Backemüs) gebraucht, eine Spezialität unserer Gegend.

Meine Leidenschaft fürs Kochen tut meiner Figur nicht gut, ich bin mit meinem Gewicht immer an der Höchstgrenze und meine Ärztin sieht das nicht gerne. Nicht nur, dass ich gerne esse, ich bin auch der „Mülleimer“ der Familie. Da ich nichts verkommen lassen kann, esse ich zu oft noch die Reste der anderen auf. Außerdem beobachte ich, dass ich mehr esse, wenn ich nervös bin, quasi um mich zu beruhigen. Aber ein Problem ist mein Gewicht für mich nicht, so wichtig kann ich das nicht nehmen.

Wenn ich für meine Familie koche, gucke ich in den Kühlschrank, was drin ist und als Erstes wegmuss, dann kommt mir eine Idee, was ich damit kochen könnte. Meistens schmeckt es meiner Familie, manchmal kriege ich aber auch nur zwei Sterne. Das ist dann ein Ansporn, an dem Rezept zu „basteln“, bis es allen schmeckt.

 

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