Das euregionale Kochbuch - Rezepte und Geschichten aus der Euregio Belgien-Deutschland-Niederlande
 

Küchengeschichte:

Frau Netty Engels Geurts, Schinnen, Niederlande

Ich komme aus einem ganz kleinen Ort in Limburg und bin 1941, mitten im Krieg, geboren. Dennoch habe ich keinen Mangel erlebt, denn wir hatten alles im Garten, außerdem Hühner, Schweine und Kaninchen. Brot und Gebäck wurden zu Hause gebacken, aber Zucker z. B. musste eingetauscht werden. Als mein Wintermantel zerschlissen war, wurden die Nähte aufgetrennt und der Mantel wurde gedreht, die Innenseite war jetzt außen und weniger abgeschabt. Unter meinen Schuhsohlen war eine Schicht Holz aufgeklebt, damit ich sie nicht so schnell ablief. Viele Leute trugen auch tagein und tagaus Holzschuhe.

Mein Vater war Lehrer und auch mein Großvater war ein wichtiger Mann im Dorf und so konnte mancher Mangel durch Tauschen und Beziehungen behoben werden.

Meine Großmutter und meine Tante waren begeisterte und hervorragende Köchinnen und machten so gut wie alles selbst. Sie haben mich sehr beeindruckt und so machte ich eine Ausbildung, die mich berechtigte, Kochlehrerinnen auszubilden.

In Limburg gab es vor dreißig Jahren kein Restaurant mit limburgischer Speisekarte. Die Limburger waren immer arm und so war auch ihr Essen. Zu Festivitäten allerdings, an Ostern, zu Fastnacht, zu Geburten oder Beerdigungen wurde großartig aufgetischt. Da gab es spezielle schöne Rezepte, manchmal sogar von Ort zu Ort unterschiedliche.

Es gab in Holland genug Kochbücher, aber keines, in dem die Originalrezepte Limburgs, also das, was wir zu Hause kochten und aßen, erfasst waren. Und wenn in einem mal ein limburgisches Rezept stand, war es verfälscht. Zu dieser Zeit war ich als Ernährungsberaterin tätig und beriet Kranke und Rekonvaleszente, wie sie sich zukünftig ernähren sollten. Ich war viel in Dörfern unterwegs und habe die Gelegenheit benutzt und die einheimischen Frauen gefragt, was sie kochen, und die Frauen haben erzählt. Alle Rezepte habe ich nachgekocht und, wenn nötig, ergänzt.

Auf diese Weise habe ich ausgefallene Rezepte kennen gelernt, die nur in ganz bestimmten Orten zubereitet werden. Kochen hat ja nicht nur mit Essen, mit Sattwerden zu tun, sondern sehr viel mit der Gesellschaft, aus der man stammt.

Futterrüben werden in Holland an die Tiere verfüttert, kein Mensch isst sie. Aber es gibt einen Ort, in dem Hammelfleisch mit gestampften Futterrüben gegessen wird. Das Rezept stammt sicherlich aus Notzeiten, Reiche haben so etwas nicht gegessen.

Es gibt auch ein Gericht, das mit der allerersten Milch einer Kuh nach dem Kalben bereitet wird. Diese Milch ist besonders süß und daraus wird Kuchen gebacken, aber nur von Bauern, weil andere diese Milch gar nicht bekommen können.

Wissen aus Tradition wollte ich festhalten und weitergeben, nicht nur die Kenntnis von Rezepten, sondern auch, wie man ein Gericht überhaupt isst. Zum Beispiel wird der traditionelle vlaai (Obstkuchen) niemals mit Gabel gegessen. Warum soll man etwas schmutzig machen, wenn man es aus der Hand essen kann? Arme Leute machten nichts unnötig schmutzig. Und wenn man damals um 16 Uhr zu wem sagte: „Kommst du Kaffee trinken“? so hieß das soviel wie: „Komm vlaai essen“. Noch heute backen mein Mann und ich einmal im Jahr auf einem Markt für gemeinnützige Zwecke vlaai, ungefähr 200 Stück. Wenn wir unsere Materialmengen aufgebraucht haben, stehen erwachsene Menschen an unserem Stand und streiten sich um die letzten Stücke. So beliebt ist dieser Kuchen bzw. dieses Rezept.

Um mein Wissen weiterzugeben habe ich mich vor ungefähr 30 Jahren entschlossen, ein Kochbuch zu veröffentlichen, und inzwischen sind dreißig verschiedene Kochbücher erschienen, wobei mein Mann viel mitgearbeitet hat. Es sind Kochbücher mit sehr verschiedenen Rezepten. Darunter ist auch ein Kochbuch mit Rezepten mit Limburger Bier, und davon gibt es viele Sorten.

Die Kochbücher verkaufen sich gut, offenbar gibt es immer noch viele Leute, die nach den traditionellen Rezepten kochen wollen. Natürlich berücksichtige ich, dass in der Vergangenheit Kochrezepte oft verändert worden sind. Es gab eine Zeit, da gingen ganze Familien nach Deutschland, um dort Brikken (Steine) zu machen, und kamen im Winter zurück. Natürlich brachten sie dann auch Kochrezepte mit, an die sie sich in den in Deutschland verbrachten Zeiten gewöhnt hatten. In Sittard z. B. behauptet man, dort seien die Nonnevotten erfunden worden. In Wirklichkeit, denke ich, war ein Sittarder als Arbeiter in einer deutschen Bäckerei und brachte von dort das Rezept für Schmalzkringel mit. Er hat es dann schlau vermarktet. Das wollen die Sittarder aber bis heute nicht hören.

Obwohl ich jedes einzelne Rezept, das zur Veröffentlichung freigegeben wird, erst selbst koche und natürlich auch esse, habe ich keine Gewichtsprobleme. Eine Waage brauche ich nicht. Wenn man sich selbst kneift, weiß man doch, was man wiegt. Dann muss man sich ein bisschen bremsen und etwas nachdenken über das, was man sich kochen will.

Essen macht nicht dick, zu viel Essen macht dick.

 

alle Küchengeschichtenalle Küchengeschichten

 

Gefördert durch die Europäische Union, den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), Interreg IV A-EMR
EU EUREGIOinterreg

STARTSEITE Das euregionale Kochbuch Le projet Het Projekt Das Projekt