|  | Küchengeschichte:Frau Gertrud Schleipen, Jülich, 
								  DeutschlandIch bin 1935 in Inden geboren, 
								  die Jüngste von vieren und das einzige Mädchen.  Mein Vater hatte eine Bäckerei. 
								  Der Krieg hat unser Familienleben schon zeitig sehr 
								  geprägt. 1943 mussten wir die Bäckerei schließen, weil 
								  mein Vater Soldat wurde. Er kam 1945 aus Gefangenschaft 
								  zurück. Alle drei Brüder waren im Krieg. Der älteste 
								  Bruder, 17 Jahre alt, wurde schon 1942 eingezogen und 
								  kam erst vier Jahre nach Kriegsende aus russischer Gefangenschaft 
								  zurück. Mein zweiter Bruder wurde achtzehnjährig 1944 
								  nach Frankreich geschickt und gilt als vermisst. Der 
								  jüngste, 17 Jahre alt, musste Schützengräben ausheben 
								  und kam dann zu den Gebirgsjägern in Italien. In diesen 
								  Jahren war der wichtigste Mensch in unserer Umgebung 
								  der Postbote.   Fast zwei Jahre lang war ich alleine 
								  mit meiner Mutter, die gehbehindert war. Sie hatte die 
								  besondere Begabung, aus wenig etwas machen zu können, 
								  das hat uns sehr geholfen, über die Runden zu kommen. 
								  „Unsere“ Soldaten schickten uns Feldpostpäckchen, darin 
								  waren harte Kekse, die ich besonders liebte, wenn sie 
								  in Milch eingeweicht wurden mit bisschen Zucker dran. 
								  Vom Bauern haben wir Milch geholt, 
								  den Rahm abgeschöpft und ihn so lange geschüttelt, bis 
								  er zu Butter wurde. Aufs Brot geschmiert und Rübenkraut 
								  drauf: Das Abendessen war fertig. Das esse ich heute 
								  noch gerne. Butter war auch ein zugkräftiges Zahlungsmittel, 
								  wenn wir mal einen Handwerker brauchten. Natürlich wurde 
								  viel gemaggelt (getauscht), ohne die Tauschgeschäfte 
								  wären damals viele Familien nicht über die Runden gekommen.  In der Nachkriegszeit war alles 
								  sehr knapp, besonders auch das Essen. Mittags gab es 
								  meistens Suppe. Sie bestand aus dem Schwellwasser verschiedener 
								  Gemüse aus dem Garten, manchmal mit einem Maggiwürfel. 
								  Mit Suppe ist der halbe Hunger weg. Als Hauptgericht 
								  gab es Kartoffeln und Gemüse, selten Fleisch, und danach 
								  Nachtisch aus Eingemachtem, auch aus dem Garten. Sehr 
								  oft gab es auch Eintopf oder Gemüse aus Brennnesseln, 
								  Löwenzahn oder Sauerampfer, die Mutter und ich gesammelt 
								  hatten. Heute ist das gar nicht mehr möglich, weil alles 
								  zu dreckig ist.   Um einkaufen zu können musste 
								  man Lebensmittelkarten haben. Sie waren eingeteilt und 
								  entsprechend markiert: Nr. 11 für Erwachsene, Nr. 13 
								  für Jugendliche. Es gab für Kinder, Kleinkinder und 
								  Säuglinge, werdende und stillende Mütter, Schwerarbeiter, 
								  Schwerstarbeiter, (meist im Bergbau), usw. gesonderte 
								  Karten. Die Nummern, die keine Bezeichnung trugen, wurden 
								  in der Tageszeitung für Sonderzuteilungen aufgerufen. 
								  Rauchermarken waren, wenn man sie missen konnte, DIE 
								  TAUSCHWÄHRUNG schlechthin. Dafür konnte man fast alles 
								  haben.   Freitags haben wir, wenn wir die 
								  Lebensmittelkarten dafür hatten, ein Döschen Fisch gegessen, 
								  mit Kartoffeln, die überhaupt bei jeder Mahlzeit dabei 
								  waren. Kartoffeln mit fast nichts dazu, morgens, mittags, 
								  abends. Manchmal, wenn die Lebensmittelkarten es erlaubten, 
								  gab es Quark und Kräuter dazu. Das schmeckte! Wenn es 
								  mal etwas Außergewöhnliches zu kaufen gab, also z. B. 
								  Salzheringe, musste ich „einkaufen“ gehen. Das hieß, 
								  den blauen Familienpass mitnehmen, nach dem die Menge 
								  Salzheringe anteilig der eingetragenen Personen berechnet 
								  wurde, lange und geduldig in der Schlange stehen und 
								  hoffen, dass noch etwas da war, wenn ich an der Reihe 
								  war. Das war durchaus nicht immer der Fall.   In der Bäckerei wurde natürlich 
								  nichts verkauft, ohne dass Lebensmittelkarten abgegeben 
								  wurden, denn die Bäckerei musste ja Rechenschaft abgeben 
								  über die Geschäfte, um die für das Backen notwendigen 
								  Zutaten zugeteilt zu bekommen wie Mehl, Zucker, Fett 
								  usw.   Abends nach den Hausaufgaben habe 
								  ich sie mit Kartoffelmehlkleister aufgeklebt, das war 
								  meine Aufgabe.   Süßes gab es selten. Manchmal 
								  machte Mutter sonntags Klümpchen. Sie hat ein kleines 
								  Stück Butter gebräunt, karamellisiert, einen Teller 
								  mit Zucker bedeckt, mit dem Teelöffel kleine Kuhlen 
								  eingedrückt und die Bonbonmasse reingelöffelt. Der Zucker 
								  um die Kuhlen herum wurde wieder eingesammelt, aber 
								  zehn Klümpchen ungefähr konnten wir uns teilen.   Nachtisch gab es oft, die Regale 
								  im Keller standen voll mit Eingemachtem. Wenn es Kirschen 
								  zum Nachtisch gab, wurden nach dem Essen die Kirschkerne 
								  gezählt. Wer weniger Kerne liegen hatte bekam Kirschen 
								  nach. Heimlich habe ich immer ein paar verschluckt und 
								  mir damit einen Nachschlag gesichert.   Trevvel (Rührei mit Speck) haben 
								  wir in der schweren Zeit nur aus Ei und Mehl gemacht, 
								  später, als die Zeiten besser wurden, wurde der Trevvel 
								  üppiger, da benutzten wir mehr Zutaten. Mit Vielem hält 
								  man Haus, mit wenig kommt man aus. Übrigens gebrauchte 
								  man für das Quirlen des Trevvel Schneebesen. Sie waren 
								  aus Aluminium und verfärbten die Speisen silbergrau. 
								  Praktisch, wie mein Vater war, band er Reisigbesen. 
								  Dazu wurden Birkenzweige gekocht, damit die braune Rinde 
								  abfiel, sie wurden passend geschnitten und gebunden 
								  und funktionierten vorzüglich. Ab und zu wurde auch geschlachtet. 
								  Weil damals kaum jemand einen Kühlschrank hatte, musste 
								  man das Frischfleisch vom Schlachtfest zuerst in Buttermilch, 
								  dann eine Woche lang in Marinade einlegen, so wurde 
								  es länger haltbar. Oder Bratfleisch wurde angebraten, 
								  in passende Stücke geschnitten und zusammen mit Bratfett 
								  und -saft in Weckgläser gefüllt und eingekocht. So machte 
								  man das auch mit Blut- und Leberwurst und mit Schweinemett. 
								  Das war viel Arbeit, aber es machte das Fleisch haltbar 
								  und die Weckgläser füllten die Kellerregale. Natürlich 
								  standen im Keller auch Steintöpfe mit Sauerkraut und 
								  Bohnen. Wenn das kostbare Sauerkraut knapper wurde, 
								  haben wir es zusammen mit weißen Bohnen gekocht: Bohnengemüse 
								  „mit Lametta“ und Kartoffelpuffer gab es dann zu essen. 
								 Weil die Zeiten so schwer waren, 
								  gab es in der Schule Schulspeisung für uns. Dafür habe 
								  ich einen emaillierten Halbliterbecher mitgenommen, 
								  den habe ich heute noch. Meistens gab es für uns sämige 
								  Suppen oder, was alle Kinder liebten, Kakao. Es gab 
								  auch Pakete mit Essen und Kleidung, sogenannte Carepakete, 
								  die Amerikaner an Deutsche schickten, aber davon haben 
								  wir nur gehört, wir haben keins gesehen und kannten 
								  auch niemanden, der eins bekommen hätte. Im Großen und Ganzen esse ich noch 
								  immer vieles, was wir damals zu Hause gekocht haben, 
								  ganz anders als meine Kinder, die viel anspruchsvoller 
								  sind. Vieles haben wir damals ja nicht gekannt und darum 
								  auch nicht vermisst.   Lebensmittelkarte von 1950, 134. Zuteilungsperiode
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