Das euregionale Kochbuch - Rezepte und Geschichten aus der Euregio Belgien-Deutschland-Niederlande
 

Küchengeschichte:

Frau Olga Königs, Mürringen, Belgien

Meine Heimat war vor dem 1. Weltkrieg deutsch, danach belgisch, während der Nazizeit deutsch und danach wieder belgisch. Deshalb sprechen wir deutsch und französisch, wie es gerade kommt. Ich bin 1941, also zu „deutschen“ Zeiten geboren.

Im Krieg hatten viele Leute in dieser Gegend Korn, Kartoffeln und Schweine und einen großen Garten, aus dem sie sich weitestgehend selbst versorgen konnten, daher musste niemand hungern, auch wir nicht. Lebensmittelkarten wurden eingetauscht für andere notwendige Sachen, wenn wer Schuhe brauchte oder auch Salz oder Zucker, also für Sachen, die wir nicht selbst herstellen konnten. Alles außer Lebensmittel war sehr knapp. In die Sohlen unserer derben Schuhe waren Nägel eingeschlagen, damit sie nicht so schnell verschlissen. In der Schule machte das einen heillosen Krach. Ungefähr ab 1949 wurde alles etwas leichter. Ab da hatten wir Sonntagsschuhe und Sonntagskleider.

In den Nachkriegsjahren gab es morgens, mittags und abends Kartoffeln. Zum Frühstück Pfannenkartoffeln und Brot mit Butter, mittags gekochte Kartoffeln, z. B. mit einem Stückchen Speck und Sauerkraut, abends Pfannenkartoffeln und danach immer Milchsuppe (Milch kochen lassen, eine Prise Salz, Zucker nach Geschmack, etwas Brot, Hafermehl oder Grieß, alles aufgekocht). Zwischenmahlzeiten oder Pausenbrot kannten wir nicht. Wir aßen uns zu den Mahlzeiten satt, Hunger dazwischen hatte es nicht zu geben.

Es wurde alles gegessen, was auf dem Teller war, sonst kam es bei der nächsten Mahlzeit wieder drauf! „Der Teller wird leer gegessen!“, das war klar.

Die Erwachsenen mussten schwere Arbeit im Feld machen und deshalb gut essen. Kartoffeln gab es mehr als Brot, an Brot wurde immer gespart, weil es umständlicher herzustellen war.

Die Butter haben wir Kinder gemacht. Der Rahm der Milch musste im Butterbottich gedreht werden, bis er fest war. Auf das Butterbrot durften wir auch Schmalz schmieren und mit Salz und Pfeffer würzen, das schmeckt mir heute noch!

Wir hatten jeden Sommer drei Schweine, die wir fütterten und die vom Hausmetzger im Herbst geschlachtet und zerteilt wurden. So hatten wir Sülze, Fleisch, Speck und Würste. Zum Schweineschlachten musste man sich einen Erlaubnisschein holen, schwarz haben wir nicht geschlachtet. Wie hätten wir begründen können, dass ein Schwein verschwunden war?

An Weihnachten duftete es im ganzen Haus. Meine Mutter stand nachts auf, um Plätzchen zu backen und uns Kinder damit zu überraschen. Als Festessen gab es Tafelspitz (gekochtes Rindfleisch) mit Kartoffeln und Salat, das ist Tradition geblieben. Geburtstage wurden gar nicht gefeiert, weil es nichts gab, aber an Namenstagen gab es Rodonkuchen und Hefezopf. Geschenke gab es erstmals Jahre nach dem Krieg. Andere Süßigkeiten außer Mutters Plätzchen kannten wir eigentlich fast nicht. Manchmal schenkte uns der Ladenbesitzer Bonbons mit Schokoladenüberzug, deshalb sind wir gerne einkaufen gegangen.

Ab und zu gab es Belohnungen. z. B. wenn wir die Kühe gehütet hatten und sie uns nicht weggelaufen waren. Dann gab es zwei Scheiben Orangen, an denen wir lange lutschten.Wir waren oft im Wald und haben Beeren, Holzäpfel, Pilze und Kräuter gesammelt. Das machen meine Kinder und die Enkelkinder auch heute noch. Ich gehe allerdings nicht mehr alleine, weil ich mich nicht mehr sicher fühle. Es gehen aber nicht mehr viele Leute pflücken, sie kaufen lieber im Geschäft.Im Dorf gab es einen Kaufmann, der allerhand zu verkaufen hatte. Wo er das eigentlich herbekam weiß ich nicht. Er hatte z. B. manchmal grüne Kaffeebohnen. Sie wurden im Ofen geröstet und dann duftete es im ganzen Haus nach Kaffee, köstlich. Mit so etwas Besonderem wurde spärlich umgegangen, es sollte lange halten. Ich durfte nur dran nippen.Vater ging morgens ins Feld. Wir Kinder mussten uns beeilen, nach dem Vormittagsunterricht schnell zu Hause zu sein, weil wir nach dem Essen und vor dem Nachmittagsunterricht dem Vater im Henkelmann sein Essen aufs Feld bringen mussten. Meistens war das Eintopf, der ließ sich gut transportieren.

Als die Amerikaner nach dem Krieg kamen, machten sie uns glücklich mit Hersheyschokolade, Nescafé und Kaugummis. An einem Kaugummi kauten wir den ganzen Tag. Bevor wir zur Schule gingen, wo wir nicht kauen durften, legten wir ihn in den Schrank. Hatte eine Freundin keinen, durfte sie ihn auch eine Weile kauen, da waren wir nicht empfindlich.

Als es Eis zu kaufen gab bekamen wir auch bei besonderen Gelegenheiten Eis. Nicht so wie heute: Für fünf Personen wurden zwei Kugeln Eis gekauft. Auf der Straße durften wir das nicht lutschen, auf der Straße wurde überhaupt nicht gegessen, das gehörte sich nicht. Diese Sitte kam erst mit den Imbissständen auf.

In den 50er Jahren tauchten Lebensmittel auf, die wir nicht kannten. Ich habe in einer Familie in der Küche gearbeitet und da brachte die Hausfrau eines Tages Nordseekrabben mit. Ich fand, dass sie wie kleine Würmer aussahen und nicht wie etwas zu essen. Ich habe sie dann mit ihr zusammen in Tomaten gefüllt und probiert und sie haben köstlich geschmeckt. Alles was neu auf den Markt kam wie Paprikaschoten, Auberginen oder Zucchinis haben wir probiert und in unsere Küche übernommen. Heute gibt es ja alles das ganze Jahr über, aber ich mache davon wenig Gebrauch.

Als es Tomaten oder Erdbeeren nur im Sommer gab, haben wie sie viel mehr geschätzt als heute.

Das Angebot in den Geschäften ist so riesig, vieles ist schon fertig gekocht, servierfertig; sogar in Speck eingewickelte Bohnen kann man zubereitet kaufen.

Aber vieles wie z. B. fertig gekauftes Griebenschmalz ist nichts gegen eigenes, selbst zubereitetes.

Für meine Familie verwende ich bevorzugt regionale Produkte und wir essen, von einigen Neuheiten wie Pizza, die ich aber auch selbst mache, eigentlich wir früher auch, nicht reicher. Aber ich lasse die Eintöpfe nicht mehr viele Stunden lang köcheln. Und ich benutze modernes Küchenzubehör, z. B. seit langer Zeit eine Mikrowelle.

Seit vielen Jahren bereite ich zusammen mit meinen Schwestern Essen für Festlichkeiten, inzwischen sehr noble Sachen, außerdem gebe ich Kochkurse für Landfrauen. In diesem Jahr sind „Suppenbars“ gefragt, angeregt von einem Trend in Amerika. Für die jungen Frauen gelten in Bezug auf Kochen und Essen ganz andere Prioritäten als für uns damals: Das Essen muss schnell fertig sein, es muss gut eingefroren werden können und hinterher muss das Geschirr schnell zu spülen sein!

 

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